Bodensee – AOC «sans frontières»

Die Bodenseewinzer agieren fernab der Weinbauzentren in Deutschland, der Schweiz und in Österreich. Gelänge es, hier eine grenzübergreifende Weinbauregion zu initiieren, wäre der Bodensee plötzlich der Nabel der deutschsprachigen Weinwelt!

Eigentlich ist der Bodensee ja ein Wein-Abenteuerland. Wir können im österreichischen Bregenz zum Grünen Veltliner vom See ein Felchen-Gröstl geniessen. Nach kurzer Autofahrt erwartet uns im badischen Meersburg ein Grauburgunder zu schwäbischen Maultäschle. Und am schweizerischen Ufer des Untersees wird zu gebackenen Chretzern (Barsch) ein knackiger Elbling kredenzt.

So weit, so gut. Nur gibt es kein Lokal, das grenzübergreifend Seegerichte und vor allem eine seeübergreifende Weinauswahl anbietet. Ja, man findet rund um den See keine einzige Weinkarte mit allen Topweinen, die rund um den See reifen. Auch die Winzer suchen nicht gerade den Kontakt über den See. Sie suchen eher Anschluss an die fernen Weinzentren in ihren Ländern, obwohl sie von diesen beharrlich ignoriert werden.

Dabei sind die Grenzen am See eigentlich gefallen. Wir bewegen uns frei und sind stolz auf unsere Euregio Bodensee. Schweizer beziehen ihr Trinkwasser aus Deutschland und senden uns ihr Abwasser zwecks Reinigung zurück (gegen Bezahlung natürlich). Deutsche und schweizerische Clubs trainieren in den gleichen Sportstätten. Künstler thematisieren mit größter Selbstverständlichkeit den ganzen Bodenseeraum. Einzig beim Genuss haben wir noch immer den Grenzzaun in Nase und Gaumen.

Und so bleibt der Weinbau am See folgerichtig eine Randerscheinung. Denn die Rebberge liegen hier nicht nur am äußersten Rande ihres Landes, sondern auch am Rande der jeweiligen Weinbauregion, zu der sie gehören.

Dabei könnte alles viel besser sein. Denn gäbe es hier die grenzübergreifende Weinbauregion Bodensee, wäre es vorbei mit der Randständigkeit. Die Bodenseewinzer würden ihren Wein plötzlich nicht mehr an der Peripherie anbauen, sondern im Zentrum des deutschsprachigen Weinkulturraums, nämlich im Schnittpunkt der drei Weinbauländer Deutschland, Österreich und Schweiz.

Und man müsste nicht einmal viel investieren dafür – nur die Denkweise ändern. Die Perspektive. Vom Terroir aus gedacht, wäre der Schritt sowieso logisch. Denn das Terroir endet nicht an politischen Grenzen. Das milde Seeklima überwindet die Staatsgrenze, die strichgerade in der Mitte des Sees verläuft, mühelos. Und auch der Rheingletscher, der vor etwa 115000 bis 10000 Jahren die Topographie am See formte, stoppte nicht am Zoll.

Darum schlage ich vor, am Bodensee die erste grenzübergreifende Appellation Europas zu schaffen. Die AOC Bodensee «sans frontières» mit einem Terroir, aber Rebbergen in drei Ländern.

Das würde den Bodenseewein nachhaltig aus seinem Dornröschenschlaf erwecken. Andere grenzübergreifende Terroirs könnten dem Beispiel folgen.

Eine neu konzipierte AOC Neusiedlersee würde das österreichische Burgenland und das ungarische Sopron vereinigen, die Südsteiermark könnte mit den slowenischen Weinbergen auf der anderen Seite der Grenze fusionieren.

Die portugiesischen Alvarinho-Winzer und die spanischen Albariño-Weinbauern könnten die grenzübergreifende AOC Minho gründen. Und das Collio würde endlich auch zu jenem italienisch-slowenischen Weinkulturraum avancieren, der es eigentlich schon ist.

Der Weinkontinent Europa hätte faszinierende neue Perspektiven!

 

Dieser Beitrag wurde von Nicole Vaculik verfasst und erschien erstmals in der Ausgabe 12/2013 von VINUM, Europas Weinmagazin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der VINUM-Redaktion.