Ein Besuch im European Cheese Center

Katrin Heuer im European-Cheese-Center

Die Herrin des Käses wollte eigentlich Skilehrerin werden. Elegant die riskantesten Pisten hinuntersausen – dieses Können wollte Katrin Heuer gern weitergeben. Es kam jedoch anders: Die 51-Jährige steht zwar weiterhin leidenschaftlich gern auf den Brettern, jetzt aber ausschließlich privat. Ihr Berufsleben hat sie stattdessen dem Essen und Trinken verschrieben. Und wer sich von ihr die Welt des Käses erklären lässt, kann diesem Entschluss nur begeistert zustimmen.

Katrin Heuer hat Hotelfachfrau gelernt – und zwar nicht irgendwo, sondern in Deutschlands höchstdekorierten und angesehenstem Gourmettempel, der Traube Tonbach, im kleinen
Schwarzwaldörtchen Baiersbronn. Später zog sie zu ähnlich ambitionierten Adressen nach Montreux am Genfer See und ins Elsass zu den Gebrüdern Haeberlin nach Illhaeusern weiter und kehrte schließlich als Restaurantleiterin ins Geiselhotel Victoria nach Bad Mergentheim, ihrer Heimatstadt, zurück. Inzwischen lebt sie bei Hannover, wo sie seit 16 Jahren im European Cheese Center (ECC) als Referentin arbeitet; seit 2008 leitet sie das Zentrum.

Wir kommen zur Käse-Verkostung im ECC in Hannover-Anderten an. Das Zentrum für Präsentation, Verkostung und Ausbildung ist in einem Flachbau untergebracht, eng verbunden mit den Lagergebäuden von Deutschlands größtem Käsespezialitätengroßhändler Ruwisch & Zuck. Der lagert 2.300 Käsesorten auf sage und schreibe 4.500 m2 Kühlfläche. Produzenten aus ganz Europa beliefern die Anderter mit köstlichen Milchprodukten. “Die Anfänge des Unternehmens in Hannover nach dem Zweiten Weltkrieg waren recht einfach“, sagt ECC-Chefin Heuer. „Damals fuhr Familie Zuck noch mit dem Pritschenwagen durch die Straßen Hannovers und verkaufte Käse.“

Katrin Heuer im European-Cheese-Center

Inzwischen beliefert man viele Jahrzehnte Einzel- und Zwischenhändler, Marktstände und Restaurants. Und hat es sich mit dem ECC zur Aufgabe gemacht, Menschen den Käse in all seinen Facetten zu vermitteln. Wer das wie ein Dorf aufgebaute Käsezentrum besucht, macht deshalb nicht nur eine Reise in die kulinarische Vielfalt des Lebensmittels, sondern zugleich in die Käsetraditionen vieler Länder. Und die unterscheiden sich teils drastisch: In den USA und Australien ist Rohmilch verboten, dort gibt es deshalb viele in Europa übliche Sorten wie Roquefort oder Cantal gar nicht. In Italien und Frankreich dagegen sind Weichkäse sehr beliebt, und auch Schimmel ist dort ein Qualitätsmerkmal. „Je mehr, desto besser“, sagt Katrin Heuer und illustriert das mit einem Beispiel: „Camembert für den Export nach Deutschland reift in Frankreich deutlich kürzer. Für den Heimatmarkt liegt er etwa fünf Wochen länger und bekommt dadurch deutlich mehr Reife und Aroma. So wollen ihn die Kunden. In Deutschland wäre er allerdings kaum verkäuflich.“

Katrin Heuer

Und was ist nun guter Käse? Diese Frage will Katrin Heuer nicht pauschal beantworten. Günstig könne handwerklich hergestellter Käse kaum sein, sagt sie. Und eine bestimmte Region reiche als Orientierung für den Kunden auch nicht aus. Das ist beim Käse nicht anders als beim Wein. Schließlich komme es beim Riesling aus dem Rheingau auch auf den Produzenten und den Jahrgang an und nicht allein auf die Herkunft. Wichtig sei vor allem, dass er mit viel Zeit und Hingabe produziert wurde und natürlich auch schmeckt. Das empfindet jedoch jeder höchst individuell.

Auf der Platte für das stylus-Tasting liegt „Polderkaas“, ein holländischer Ziegenkäse mit Lavendel in verführerischem Lila. Daneben „coeur gourmand aux figues“, ein französischer Ziegenkäse mit Feigen. Beide haben ein feines, zart schmelzendes Aroma, wobei die Feige ein köstlicher Kontrapunkt ist. Der Einstieg ist gelungen. Es folgt „Kuh auf Rot“, ein Husumer Biokäse, dazu „Camembert di bufala“, der persönliche Favorit meiner Frau. Ein sardischer „Pecorino“ mit Trüffeln sorgt ebenfalls für Entzückung unter den Anwesenden. Und das Ziegenröllchen mit Wildkräutern aus Österreich? Ein Traum! Zum Abschluss gelangen wir zum englischen „Stilton DOP“, einem kräftigen Blauschimmel, der aber weder zu salzig noch unangenehm scharf ist. Zwischendurch gibt es leckeres Brot, ein paar Schlucke Wein – und Antworten auf Fragen aller Art.

Alle Sorten zu beschreiben bringt wenig. Besser ist es, donnerstags zum Schlemmerbuffet ins ECC zu kommen. Dann können mehr als 30 Sorten aus Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch pro-
biert und bestaunt werden. Im Zentrum kann auch akribisch gelernt und Weiterbildung betrieben werden. Diplom-Käse-Sommelier etwa kann werden, der bereit ist, zwei Wochen täglich von acht bis 18 Uhr jedes Detail zu festen Milcherzeugnissen aus aller Welt zu lernen.

„Viele Teilnehmer arbeiten an ambitionierten Käsetheken im Einzelhandel“, sagt Ausbilderin Heuer. „Die sind ohnehin schon voll im Thema.“ Trotzdem bekommen sie von den ECC-Dozenten viel Wissen zu Regionen, Produkten und Aussprache der einzelnen Namen mit – und jede Menge Geschmackseindrücke dazu. „Zwei Wochen lang so viel Käse probieren, das ist hart“, sagt Katrin Heuer und meint das tatsächlich ernst. Dennoch gibt es noch einiges zu tun, da ist sich die zweifache Mutter sicher: „Dass die Mitarbeiter von der Wurstabteilung auch den Käse mit bedienen, ist leider immer noch weit verbreitet“, seufzt sie, „so sollte es eigentlich nicht sein.“ Allerdings, und das ist positiv zu vermerken, wird im Lebensmitteleinzelhandel immer besser beraten – auch dafür hat Katrin Heuer die Skistöcker gegen das Käsemesser eingetauscht.

Text: Alexander Nortrup | Fotos: Olaf Mahlstedt
Der Artikel erschien in der April-Ausgabe des stylus-Magazins.