Kann man den Preis einer Flasche Wein schmecken?

Wein-Experten sind sich einig: Natürlich kann man den Unterschied zwischen einem Wein für € 2,50 zu € 7,00 schmecken. Auch sind Unterschiede von € 5,50 zu € 12,00 ohne weiteres herauszuschmecken. Fachleute gehen nämlich sehr systematisch vor. Sind bei verdeckten Proben Rebsorte, Qualitätsstufe und Herkunftsland bekannt, gelten die typischen Parameter zu genannter Sorte und Terroir. Mit entsprechender Erfahrung ist ein Ranking dann möglich.

Wie macht das jedoch der „Unkundige“ – sprich Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller?

Hier gelten lediglich zwei Parameter: 1. „Schmeckt!“ und 2. „Schmeckt nicht!“ Erschwerend kommt hinzu, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt. Es geht hier schließlich immer um den individuellen Geschmack eines jeden.

„Feiner Stoff“

Im Rahmen einer Veranstaltung vom Wirtschaftsclub Kassel zum Thema „Feiner Stoff“ war ich zusammen mit einem Schneider eingeladen. Wir waren angehalten über Qualität, die sich über den Preis offensichtlich darzustellen scheint, zu sprechen. Wir organisierten einen Workshop, in dem jeder Teilnehmer anhand von „Blindproben“ den passenden Preis zuordnen kann.

Mein Kollege der feinen Stoffe hatte eine Auswahl von Tüchern dabei, die mit Händen gefühlt, geknautscht und geschüttelt werden konnten um sich dabei Fadenstärke, Gewebe und Stoffgewicht inkl. möglicher Beimischungen zu erschließen.

Ich als Weinexperte hatte verdeckte Kostproben vorbereitet. 3 Flights, bestehend aus 3 verschiedenen Qualitäten zu je einem Thema.

 

  1. Flight: Junger Pinot Grigio, Nord-Italien, DOP, trocken, zu den Brutto-Preisen € 2,39, € 5,75, € 11,99
  2. Flight: Riesling, Deutschland, Qualitätswein, trocken, zu den Brutto-Preisen € 2,99, € 7,25, € 14,85

  3. Flight: Klassische Bordeaux-Cuvée, AOC, Frankreich, zu den Brutto-Preisen € 3,79, € 7,15, € 18,95

Nach einer Stunde waren alle Stimmzettel ausgefüllt. Die Auflösung wurde mit großer Spannung erwartet. Hier das Ergebnis kurz und bündig:

Zu 1. Junger Pinot Grigio:

58% fanden den günstigen Pinot Grigio am leckersten, eine Handelsmarke der EDEKA. Nur 17% haben dies beim Teuersten empfunden. Dieser war ein Wein aus Einzellage im Grave del Friuli von Di Lenardo Vineyards.

Zu 2. Riesling, Deutschland:

66% fanden den günstigsten Riesling am feinsten. Eine Kellereiabfüllung und Handelsmarke ohne Jahrgang aus Rheinhessen (ohne genaue Herkunftsbezeichnung). 26% gaben dem Teuersten ihre Stimme. Dieser war ein Rheingau-Klassiker, der Gelblack von Schloss Johannisberg.

Zu 3. Klassische Bordeaux-Cuvée:

17% schmeckte der günstigste Bordeaux (eine Abfüllung für den LEH) am besten. 23% mochten den Schloss-Abzug in der mittleren Preisklasse und 41% schmeckte der Saint-Emilion Grand Gru mit Gold- und Silber-Medaille.

Die Überraschung war entsprechend groß. Die meisten Teilnehmer nahmen es locker und mit Freude auf. Lediglich die bekennenden Weinkenner unter den Gästen waren sichtlich enttäuscht bis entsetzt. Wer hätte das für möglich gehalten, dass die Optik der Flasche, das Etikett und das Wissen über den Wert einer Flasche – automatisch auch den Geschmack beeinflussen können. Diese Erkenntnis ist jedoch nicht neu.

Fazit: Über Qualität lässt sich gut streiten, weil hier viele Faktoren wie Herkunft, Erntemenge, Trauben, Herstellung, Ausbau, Technik, Reife, Verfügbarkeit und vieles mehr nachweisbar sind.

Über Geschmack kann man wirklich nicht streiten. Hier hat jeder eine andere, sprich seine eigene Wahrnehmung. Wein probieren und trinken ist zudem sehr emotional und spricht nicht nur den Geschmackssinn an. Alle menschlichen Sinne sind voll im Einsatz.

Ich kann nur jedem Profi empfehlen, sich in Sachen Preis insofern zurückzuhalten, als dass darüber kein Streit zu gewinnen ist, wenn’s um nichts Geringeres geht als den reinen Geschmack.

Ich werde vielleicht bei der nächsten Verbands-Tagung diesen Workshop mit den FuW-Weinexperten durchführen und die Ergebnisse mit diesen hier vergleichen. Man darf gespannt sein.