
Politik, Platz und Prioritäten
Die Sitzverteilung in Wiesbaden ist eine der schwierigsten Aufgaben des VDP Teams. Hier wird Politik gemacht. Wer ist wichtiger, wer tut mehr für den deutschen Wein, wer ist als Stimme und Gesicht in der Branche unverzichtbar. Am Ende eint uns, dass fast alle in diesem Saal Wein verkaufen – ob im Restaurant, im Handel oder als Menschen, deren Rat man vertraut.
Auftakt bei Fitz Ritter
Was viele Jahre selbstverständlich für drei Tage in meinem Kalender stand, ist längst variabel, durch die Entscheidungen der verantwortlichen Damen. Dieses Jahr gab es deshalb für mich für den ersten Tag einen Ausweichort, der sich im Nachhinein als Geschenk erwies. Die Pfalz lud ins Weingut Fitz Ritter, und ich war zum ersten Mal dort zu Gast. Zauberhaft, ein wunderbarer Garten, eine Terrasse unter einem uralten Ginkgo, perfekte Organisation und ein Kreis versierter Verkosterinnen und Verkoster. Ich habe konzentriert gearbeitet, alle Rotweine aus Pfalz und Rheinhessen probiert und danach die spannungsreichen Rieslinge von der Nahe.
Große Klasse von der Nahe
Ich fragte mich dabei oft, ob die Genießerinnen und Genießer ahnen, wie sehr der Frost die Region getroffen hat. Umso beeindruckter war ich von Dönnhoff. Die Hermannshöhle ist für mich ein klarer Kaufalarm. Großartig auch die Weine von Emrich Schönleber. Bei Tim Fröhlich reicht der Duft schon aus, um ihn blind zu erkennen, die Spontinoten sind seine Signatur. Gut Hermannsberg zeigte mit dem 2020 Hermannsberg einen zarten Riesling mit langer Holzreife. Joh. Bapt. Schäfer legte mit dem 2024 Pittermännchen einen Wein vor, der nichts für Einsteiger ist.
Pfälzer Monumente im Glas
Dann die Monumente der Pfalz: die Großen B‘s aus Deidesheim, allen voran Bürklin Wolf. Aber auch Rings, Mosbacher und Acham Magin gehören auf jede Beobachtungsliste. Von Winning spaltet wie immer die Gemüter, doch für mich braucht eine spannende Rieslingrunde genau diesen Stil. Philipp Kuhn ist als mehrfacher Champion immer eine Entdeckung wert. Und Sophie Christmann mit dem Idig 2024 – erst cremig wie ein Törtchen, dann Zitrone, dann Grip. Sophie und ihr Vater wissen genau, was sie tun.
Die Pfalz mit Tiefgang
Die Roten aus der Pfalz sind, wie zu erwarten, Pinot Wunder. Rings, Jülg, Bernhard, ein zauberhafter Müller Cartoir Vogelsang 2023. Und Friedrich Beckers Heydenreich 2022 – wie ein Roman, der einen nicht mehr loslässt. Dicht, würzig, fast zu viel, aber faszinierend und mit dieser Cassis Note, die an Rayas erinnert. Ein großer Wein.
Rheinhessen überrascht
Aus Rheinhessen fiel mir Gutzler mit dem Höllenbrand auf. In meiner Erinnerung war Gutzler stärker bei Cabernet, aber die Pinots sollte man verfolgen.
Netzwerke und Champagner
Der erste Tag war für mich perfekt. Arbeit und Freude zugleich, abgerundet durch ein Sommelier-Netzwerkabend in Deidesheim, zu dem der Busche Verlag eingeladen hatte. 250 Gäste, Laurent Perrier Grand Siècle und Bollinger PN 2 – Begegnungen wie diese machen unseren Beruf besonders. Die Urkunde hat schon ihren Platz gefunden.
Platz 141 und neue Perspektiven
Dienstag dann Wiesbaden. Ich kam zu spät und fand mich statt in der ersten Reihe auf Platz 141. Neben mir Albert de Jong aus Holland, dazu junge Sommeliers, die mit Begeisterung probierten. Der Saal hatte etwas Strenges, fast wie eine Mahnung: fleißig arbeiten, um wieder eingeladen zu werden.
Die Ahr und darüber hinaus
Die Ahr wie immer ein Vergnügen. Jean Stodden, Meyer Näkel, Burggarten – Pinot Klasse, nur die Farbe der 2023er etwas heller, mehr Granat. Dann landete ein Ruwer Roter von Maximin Grünhaus in meinem Glas und sogar ein Pinot aus Sachsen. Die junge Kellnerin Luise machte mich darauf aufmerksam, dass sie selbst den 2023 Friedstein von Martin Schwarz in Radebeul vinifiziert hatte. Hell rubinrot, Marzipan und Nuss in der Nase, Kirschkuchen mit Zimt, am Gaumen rote Beeren, saftig, mit markanter Säure und reifem Gerbstoff. Dazu gekonntes Holz. Ein Besuch ist nun schon geplant.
Tiefe aus Franken
Franken: die Fürsts mit ihren unvergleichlich tiefen Pinots – europäische Edelklasse. Sebastian und Rudolf zaubern echte Unikate für Sammler und die besten Weinkarten Deutschlands. Absoluter Kaufalarm. Überraschend der Maustal 2023 von Theo Luckert, eigen und bemerkenswert.
Heimspiel Baden
Als Schwarzwaldmädel gehört meine Liebe natürlich Baden. Mit Huber, Heger, Salwey und Keller bin ich aufgewachsen, und die neuen Generationen füllen diese Namen mit Glanz. Julian Huber führt die Reihe an, doch auch Konrad Salwey, Friedrich Keller und die Heger-Töchter zeigen Pinot Klasse, die international begeistert. Ein kleiner Hype hat sich um Tochter Seeger gebildet, doch für mich ist da noch zu viel neues Holz. Substanz hat es und deshalb plane ich einen Besuch in Nordbaden.
Ein kulinarischer Zwischengang
Zum Lunch eine Dorade im Nassauer Hof – eine Pause, die ich brauchte.
Reife, Fokus und Chuzpe
Am Nachmittag dann die großen Rieslinge aus Rheinhessen. Wittmanns Weine so reich und anschmiegsam, wie ich sie lange nicht erlebt habe. Battenfeld Spanier klar und fokussiert, Kühling Gillot einladend. Pettenthal von Gunderloch wirkt wie ein Langstreckenläufer. Und schließlich Kai Schätzel – seine Weine haben Chuzpe. Honigmelone, Karamell, süß sauer Fermentiertes, Ingwer. Schon auf der Mainzer Weinbörse haben sie mich in Bann gezogen. Nichts für Zaghafte, aber absolut eigenständig.
Das große Ganze
Die Große Gewächs Verkostung 2025 war für mich eine emotionale Reise. Bad Dürkheim ein Refugium, Wiesbaden ein Ritual. Zwischen Konzentration und Ekstase, zwischen Stil und Pathos. Wer entscheidet über den Erfolg der Großen Gewächse. Am Ende nicht die Sitzordnung, sondern die Momente im Glas, im Austausch, in der Erinnerung. Und den Mut, eigene Meinung zu bekennen, trotz der Krise, selbstbewusst einzukaufen und mit Passion den Kunden, Gästen und Lesern jeden Tag aufs Neue viel über die guten Weine des Landes zu erzählen.